Vor dem Gewerkschaftshaus, vor dem Kreml, bildete sich stundenlang eine lange Schlange, wie ein dpa-Reporter vor Ort berichtete. In dem Gebäude lag der Leichnam des ehemaligen Staats- und Parteichefs in einem großen Säulensaal in einem offenen Sarg – wie es bei ehemaligen sowjetischen Führern nach ihrem Tod der Fall war. Gorbatschows Tochter Irina, schwarz gekleidet und mit einer dunklen Maske vor dem Mund, erhielt Beileidsbekundungen. Im Gegensatz zu früheren Kremlführern – wie seinem Nachfolger Boris Jelzin (1931–2007) – erhielt Gorbatschow kein Staatsbegräbnis. Der Sarg wurde von Ehrengarden flankiert, aber es waren keine wichtigen politischen Persönlichkeiten anwesend. Der Kreml führte Putins Abwesenheit am Samstag auf Terminprobleme zurück. Allerdings lag er bereits am Donnerstag im Sarg. Aus Russland kamen der frühere Präsident Dmitri Medwedew, der liberale Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski und der Journalist Dmitri Muratow, ebenfalls Friedensnobelpreisträger. Ohne den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wären zahlreiche hochrangige Politiker nach Moskau gekommen, um Gorbatschow die letzte Ehre zu erweisen. Auch viele Politiker aus westlichen Ländern wie US-Präsident Joe Biden konnten nicht teilnehmen, weil ihnen von russischer Seite als Reaktion auf westliche Sanktionen Einreiseverbote auferlegt wurden. Zudem sei der russische Luftraum derzeit für Flugzeuge aus „unfreundlichen EU-Staaten“ gesperrt. Deshalb verabschiedeten sich vor allem ausländische Botschafter und Diplomaten von Gorbatschow. Österreich war durch den Geschäftsträger der Botschaft in Moskau vertreten. Die Beerdigung soll dann am Nachmittag im kleineren Kreis stattfinden. Gorbatschow ist auf dem Moskauer Promi-Friedhof im Nowodewitschi-Kloster in der Nähe des Stadtzentrums begraben – neben seiner Frau Raisa. Gorbatschow war von 1985 bis 1991 das letzte Staatsoberhaupt der Sowjetunion. Er galt als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges und genoss vor allem in Deutschland großes Ansehen. Unter seiner Führung unterzeichnete die Sowjetunion in den 1980er-Jahren bahnbrechende nukleare Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen mit den USA, im Inland leitete der Politiker als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit der Politik der Glasnost (Offenheit) einen beispiellosen Reformprozess ein. und Perestroika (Umstrukturierung). Der politische Prozess führte schließlich zum Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Daher sehen viele Politiker und Bürger Russlands Gorbatschow als “den Schläger der Sowjetunion”. Zur Beerdigung erschienen bis zum späten Nachmittag keine Staats- und Regierungschefs der ehemaligen Sowjetrepubliken. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan würdigte Gorbatschows „wichtige Rolle“ in Russland und der Welt in einem Telefonat mit Putin.